Schon seit ich denken kann fühle ich mich angezogen vom „Spiel mit dem eigenen Geschlecht“. Menschen, die sich nicht eindeutig den herkömmlichen Attributen von Frau oder Mann zuordnen lassen, finde ich interessant.
Ich selbst verwirre die Menschen auch gerne und spiele mit meiner Geschlechtsidentität. An guten Tagen finde ich es spannend, wenn mich Frauen auf der Damentoilette anschauen, als wäre ich vom anderen Stern. An weniger guten Tagen bin ich genervt, wenn Menschen so wenig inneren Spielraum haben.
Ich liebe es, wenn beides schwingt in mir – nach außen oft das eher Coole, männlich Wirkende, und innen drin weiß ich genau: „Ich bin eine Frau“. Das deute ich an in leichten Nuancen – ein enges T-Shirt, eine weibliche Bluse zu der eher lässigen Jeans. Es soll immer nur eine Ahnung bleiben, wie viel Weiblichkeit in mir steckt. Ich bin androgyn und fühle mich damit inzwischen sehr wohl.
Meine Zeit als heranwachsende Jugendliche war dagegen ein Graus. Immer habe ich mich falsch gefühlt. Während sich meine Klassenkameradinnen zum ersten Mal verliebten oder heimlich ihren neuen Lover küssten, saß ich gänzlich auf dem Trockenen. Verzweifelt suchte ich mir Ersatzbeschäftigungen. Ich lief zu Höchstleistungen in der Schule auf und erzählte den Kindern in der Kinderkirche Geschichten von Jesus und dem lieben Gott.
Irgendetwas stimmte nicht mit mir. Als ich zum ersten Mal eine Frau küsste war das die Offenbarung: Endlich kam ich an in mir. Ich wusste, nicht ich bin falsch, sondern die Welt, die solche Neigungen als unnatürlich abstempelt. Ich ahnte zum ersten Mal, dass ich mit dieser Mischung aus Frau und Mann und mit meiner Realität, mich von Frauen angezogen zu fühlen, auch einen Platz als sexuelles Wesen im Miteinander der Menschen einnehmen wollte.
Ich entdecke meinen inneren Mann
Als junge Erwachsene habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren, warum es sich so verhält in mir – warum ich das Weibliche nur andeute und die Menschen damit gerne aufrüttele. Ich bin auf die Suche gegangen, um das Rätsel, das ich mir selbst war, zu lösen. Dabei bin ich, der Göttin sei Dank, auf die IndividualSystemik gestoßen. Durch diesen Forschungsweg habe ich erkannt, dass ich „viele“ bin und dass ich die Vielen in mir kennenlernen kann.
Zu meiner eigenen Überraschung habe ich nach einiger Zeit einen inneren Mann in mir gefunden. Und nicht nur das! Ich habe entdeckt, dass dieser Mann sein Begehren auf Frauen richtet und sich eine Frau als Beziehungspartnerin wünscht. Das war erstaunlich für mich – so präzise hatte ich meine Gefühle bisher nicht einordnen können. Nun wusste ich, wer in mir verantwortlich dafür war, dass ich Frauen liebte. Etwas in mir entspannte sich.
Aufgrund eines alten Schmerzes hält dieser Mann jedoch seine sexuelle Kraft zurück. Er hat irgendwann mal entschieden, keine nahe Beziehung mehr einzugehen und sich in seinem männlichen Wollen nie wieder verletzlich zu machen. Deshalb verliebe ich mich immer wieder gerne in Frauen, die unerreichbar sind. Ich kann sie in meiner Fantasie lieben, solange eine Beziehung nicht Realität wird. Auch das zu begreifen war ein wichtiges Puzzleteil im Verständnis meiner selbst.

Und was ist mit den Frauen in mir?
Die Zurückhaltung dieses Mann, den ich an Anfang William nannte, ist dafür verantwortlich, dass auch die Frauen in mir zurückgehalten sind. Sein Thema mit seinem alten Schmerz ist so stark, dass es meine ganze Innenwelt überlagert: Jedes Mal, wenn eine meiner inneren Frauen stärker ins Leben tritt, wird auch er mit seinem alten Thema berührt. Das will er unter allen Umständen vermeiden. Er will seinen Schmerz nicht mehr fühlen und es in sich ruhig halten. Deshalb versetzt er alle meine Inneren Personen in einen gedämpften, narkotisierten Zustand.
Und als Nebenwirkung sorgt er dafür, dass die Frauen in mir nicht mehr erreichbar sind. So habe ich zwar kraftvolle Frauen in mir, nach außen sind sie jedoch erst auf den zweiten Blick sichtbar.
Für die Menschen im Außen ist es oft gar nicht so einfach, mit mir in Beziehung zu treten. Mein Gedämpftsein puffert so manche Beziehungsbewegung von anderen ab.
Diese Mischung aus einer zentralen männlichen Kraft, die Frauen liebt, aber keine Beziehung mehr will, und meinen zurückgehaltenen inneren Frauen macht diese speziell androgyn-lesbische Mischung aus, die ich bin.
Die Fünf Kontinente der Psyche
Schon immer hatte ich einen Geschmack von meiner inneren Vielheit. Das Revolutionäre für mich war nun, durch die IndividualSystemik ein konkretes Bild für diese innere Vielheit zu bekommen. Ich bekam ein Menschenbild an die Hand, mit dem ich mich systematisch erforschen und einordnen konnte. Zu dieser Ordnung gehört für mich ganz zentral das Modell der „Fünf Kontinente“.
Artho und Veeta Wittemann haben bei ihrer Forschungsarbeit Innere Personen vorgefunden, die sich fünf energetischen Grundqualitäten zuordnen lassen – Frau, Mann, Kind, Tier und Gott. Manchmal weiß man zu Beginn nicht, zu welchem Kontinent eine Innere Person gehört, oder man täuscht sich. Je näher man der Natur der Inneren Person kommt, umso eindeutiger wird es. Dabei gibt es auch sogenannte „Schnittmengen“ zwischen unterschiedlichen Kontinenten – es gibt zum Beispiel eher männliche innere Frauen oder weibliche innere Männer, Frauen mit spirituellen oder instinkthaften Qualitäten oder kindlich-verspielte Männer.
Wir alle tragen diese fünf Grundqualitäten in uns. Für diejenigen von euch, die die IndividualSystemik noch nicht so gut kennen, hier ein Auszug aus Veeta Wittemanns Buch Die Geheimen Bewohner der Seele:
„Jeder Kontinent hat seine eigenen Grundbedürfnisse und seine natürlichen Fähigkeiten.
Kontinent Frau: Persönliche Beziehung, Einfühlsamkeit, Intuition, Kreativität
Kontinent Mann: Übergeordnete Struktur, Plan, Übersicht, Führung
Kontinent Kind: Verletzlichkeit, Unschuldige Offenheit, Verspieltheit, Intimität
Kontinent Tier: Vitaler Überlebenswille, sexuelle Lust, Durchsetzungskraft, Abgrenzung
Kontinent Gott: Transzendenz, Bedingungslose Liebe, Ewigkeit, All-Eins-Sein.“
Das Erstaunliche für mich war, dass sich meine Inneren Personen erkannt fühlen, wenn sie sich selbst einem Kontinent zuordnen können. Sie können erforschen, wie genau sich ihr Frau-Sein, Ihr Mann-Sein oder ihr Kind-Sein in ihnen ausgestaltet oder wie das Instinkthafte oder Göttliche in ihnen wohnt. Die Einteilung in die Fünf Kontinente fühlt sich dadurch nicht wie ein starres Konzept an, sondern viel mehr wie ein Raum von Möglichkeiten, der sich öffnet und den man ausschreiten und erkunden kann. Je näher die Innere Person ihrer ursprünglichen Natur kommt, umso mehr kann sie sich ausdehnen und entspannen.
Von William zu Karim
Auf der Grundlage dieses Modells kann ich meinen inneren Mann zuordnen. Er kommt aus dem Grenzbereich von Kontinent Mann und Tier. Er ist jedoch noch recht abgeschnitten von dem, was er einmal war. Seine Ratio, die er auch hat, hilft mir, mich in der Männerwelt meines Berufes zu bewegen.
Immer wieder bekomme ich jedoch eine Ahnung davon, dass er sich als instinkthafter Mann bei bestimmten Entscheidungen mehr von seinem Herzen und seinem Bauch führen lässt als von seinem Verstand. So habe ich mich zum Beispiel vor einigen Jahren einem Impuls folgend dazu entschlossen, ins Ausland zu ziehen und mich beruflich zu verändern, obwohl es dafür nicht viele rationale Gründe gab – eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe.
Ich bin neugierig, was passiert, wenn sich William seines Ursprungs wieder bewusster und sicherer wird … Wird er meine inneren Frauen freier ins Leben hinein lassen in dem Wissen, dass er sie schützen kann? Will ich dann hin und wieder eindeutiger weiblich sein? Oder in manchen Situationen klarer männlich? Und kann ich mein Wollen in Bezug auf Frauen unmittelbarer ausdrücken? Wer weiß …
Einen bewegenden Schritt in diese Richtung konnte ich bei meinem Retreat im Herbst in Schweden erleben. William konnte fühlen, wer er ursprünglich mal als Mann war: ein junger, feuriger, liebender Prinz.

Und ich habe einen deutlichen Geschmack davon bekommen, dass William ursprünglich wollte, dass die Kräfte aller Kontinente ihren Platz haben, in einem direkten und genussvollen Miteinander. Bei allem jugendlichen Übermut konnte er auch fühlen, wie ihn all sein Scheitern hat reifen lassen und er inzwischen mehr ist als der stürmische Prinz.
So habe ich ihm einen neuen Namen geben, der inzwischen besser passt: Karim.
Alle Spielarten der Natur
Wir alle haben eine enorme Vielheit in uns, die weit über „Frau und Mann“, „homo und hetero“ hinausgeht. Mit der IndividualSystemik können wir tiefer blicken und erfassen, wer in uns wen begehrt. Wir können Begriffe, wie „homo“ und „hetero“, schwul und lesbisch, bisexuell, transgender und noch vieles mehr mit Leben füllen. Dabei ist alles möglich: das Individuelle eines jeden Menschen, mit all seinen Spielarten zu sein und zu lieben, kann umfassend verstanden werden.
Mit meinen Erkenntnissen über mich war ich schon sehr weit gekommen. Aber ich war auf meiner inneren Forschungsreise noch lange nicht am Ende. Ich bekam es in William mit der stärksten Kraft in mir zu tun, die meinen Prozess der Selbstentfaltung verhinderte.
Wie unser inneres System an den Entscheidungen einer Inneren Person hängt, die damit das Potenzial für ein vielfältiges Miteinander von innen heraus boykottiert – davon schreibe ich in meinem nächsten Beitrag.
Liebe Tilda,
vielen Dank für deinen Artikel, in dem du so angenehm klar und ehrlich über dich schreibst und die Brücke schlägst zwischen der inneren Arbeit und dem Bezug zum realen Leben. Denn das ist ja ein Grund, warum wir forschen. Das geht mir manchmal in den „inneren Wirrungen“ verloren. Mir erscheint es geradezu revolutionär, mit Hilfe der 5 Kontinente auf das Thema der sexuellen Orientierung und Identität zu schauen. Welch große Entlastung könnte es mit sich bringen, wenn die Menschen wie ganz natürlich um ihre innere Vielfalt wüssten, damit mehr Verständnis für eigene innere Diskrepanzen hätten und anderen Menschen automatisch mehr Freiraum und Akzeptanz entgegen brächten. Der Weg bis dahin ist natürlich weit. Trotzdem ist es wohltuend, eine solches Wunschbild als Motivation vor Augen zu haben.
Liebe Schneemohn,
danke für deine Antwort und deine Wertschätzung.
Du bringst in deinen klaren Sätzen auf den Punkt, um was es gehen könnte und sprichst mir damit aus der Seele (-:
Vielleicht ist der Blog und unsere Auseinandersetzung mit dem Thema ja ein kleiner Anfang dieser Vision. Wie schön, dass wir dieses Wunschbild teilen.
Liebe Grüße, Tilda
Liebe Tilda, ich habe deinen Artikel mit Freude und Erstaunen gelesen. Die Eleganz deiner Sprache gesellt sich zur Klarheit deiner Gedanken – zu einem Thema, das du ganz persönlich und gleichzeitig allgemeingültig entwickelst. Danke!
Ich stimme dir zu: das Konzept der 5 Kontinente ist sehr hilfreich und du hast es sehr leichtfüßig dargelegt.
Ich habe immer Frauen geliebt und in mir leben einige unterschiedliche, kraftvolle Männer; aber meine weiblichen und kindlichen Kräfte geben mir gleichzeitig eine Empfindsamkeit und Weichheit, wie ich sie bei anderen Männern selten finde. Das ist schade. Ich habe einen indischen Lieblingssänger, Ghulam Ali, der diese Gleichzeitigkeit in seinen Liedern wunderbar ausdrückt. Ich denke, die würden deinem Karim und deinen inneren Frauen auch gefallen.
Lieber Robert,
danke für dein schönes und bezogenes Feedback.
Es tut mir sehr gut, was du schreibst und ich fühle mich mit meinem Beitrag sehr wertgeschätzt.
Es ist etwas Wunderbares, dass du als Mann Zugang zu weiblichen und kindlichen Quellen und damit zu einer Empfindsamkeit hast. Diese Mischung ist wirklich besonders und berührt mich. Das ist schade, dass es das so selten gibt auf der Welt.
Die Weichheit in Ghulam Alis Gesang kann ich spüren und erreicht Karims Herz. Damit in Kontakt zu sein ist erfüllend. Ich frage mich, ob das Empfindsame in Männern nur aus den weiblichen und kindlichen Quellen kommt. In Karim fühle ich neben dem Stürmischen auch etwas Weiches. Es fühlt sich jedoch anders an als die Liebe aus meinen kindlichen und weiblichen Quellen – es ist nicht ganz so verletzlich und abhängig vom Außen.
Es interessiert mich, wie du das bei dir erlebst.
Liebe Grüße an all die deinen,
Tilda
Liebe Tilda, du hast recht, es gibt natürlich auch innere Männer, die selbst einfühlsam und bezogen sind und in der Nähe von Kontinent Frau leben. In mir gibt es auch so einen Mann. Ihm ist Bezogenheit genauso wichtig wie Erkenntnis oder Erfolg. Und ja, auch in seiner Bezogenheit ist er unabhängig. Das klingt fast paradox, ist es aber nicht. Es bedeutet nur, dass er eine Beziehung aufgeben kann, wenn sie trotz seines Einsatzes nicht gewollt ist. Das gibt ihm die Freiheit zu wählen. Wenn er aber einmal ein Gegenüber gefunden hat, das ihm wirklich Antwort gibt, ist er sehr treu.
Lieber Robert,
danke für deine Antwort. Sie regt mich zum weiteren Nachdenken an.
Gleichzeitig zu Bezogenheit und zur Unabhängigkeit fähig zu sein schützt die eigene Würde und all die abhängigeren Anteile in uns, die darin nicht so frei sind.
Mir fällt das in Karim noch schwer, diese innere Freiheit zu leben, weil er seine alte Beziehungserfahrung noch nicht ganz verdaut hat. Deine Beschreibung von deinem Mann ermutigt mich und zeigt mir auf, wo es hingehen kann.
Liebe Grüße,
Tilda.
Liebe Tilda
vielen Dank für den wunderschönen Artikel. Es hat mich sehr berührt, wie nachfühlbar du das Persönliche mit der größeren Tragweite verknüpfst. Und die ist enorm.
Sogar die allergrundlegendsten Dinge wie unsere Geschlechtsidentität hängen davon ab, was wir in unserer Tiefe vorfinden. Wenn wir es erforschen, wird klar, warum wir so sind, wie wir sind. Mit der Bewusstmachung und Heilung unserer Inneren Personen können wir freier entscheiden, wie wir leben wollen. Da wir das aber meist nicht wissen, können wir es erst mal nicht verstehen und auch nicht in der Tiefe fühlen. Die Auswirkungen davon sind dann für viele ein Leben lang „ein Graus“. Wir können bei niemandem wissen, wie sie eigentlich leben sollten, noch nicht mal bei uns selbst! Wäre es da nicht besser, wir gingen von vornherein davon aus, dass in uns allen eine Vielfalt schlummert und wir könnten offen dafür sein? Die Grundannahme der Gesellschaft, wie ein Mensch ist oder zu sein habe, basiert auf einem (Un-)Verständnis der menschlichen Psyche, das sich an der Oberfläche orientiert. Es ist leider gar nicht neugierig.
Wer weiß (und das meine ich jetzt nicht persönlich auf dich geschaut, sondern exemplarisch), wie deine noch zurückgehaltenen Frauen leben und wen sie lieben wollten!? Wer weiß, ob sie Karims Entscheidung mittragen, die ja wohl für dich von klein auf bestimmend war, ob und wie sie sie mit Leben füllen würden? Es scheint mir eine fundamentale Sache zu sein, wirklich offen dafür zu sein, seine Vielfalt zu leben, ohne sich festzulegen, und sich frei zu entscheiden. Zugleich zeigst du, wie wichtig es ist, das nicht als Beliebigkeit zu verstehen. Du beschreibst sehr eindrücklich, dass erst mit der zunehmenden Bewusstwerdung der Inneren Personen sie ihre ursprüngliche Natur erfahren und ins Leben bringen können. Das Bild von Prinz Karim drückt das übrigens auch ganz wunderbar aus.
Liebe Anita,
danke für deine Wertschätzung und deine weiterführenden Gedanken.
Das stimmt – das, was wir gewöhnlich leben, ist nur die Oberfläche von uns selbst und unserer Inneren Personen. Auch in Bezug auf unsere Geschlechtsidentität wissen wir nicht, wie sie sich äußern würde, wenn unsere Inneren Personen wirklich frei wären. Was mich betrifft, bin ich mir sicher, dass meine inneren Frauen Karims Entscheidung, Frauen lieben zu wollen mittragen würden. Aber wer weiß, vielleicht würden sie sich einmischen und sich ab und an mal einen Mann wünschen…oder auch eine Frau…oder beides (-:
Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten in mir war es für mich sehr wichtig, mich als lesbisch einzuordnen und zu definieren. Das hat zur Entwicklung meines Selbstbewusstseins und meines Standes in der Welt beigetragen. Eine langfristige Vision wäre für mich auch, dass die Quellen-Theorie und das Konzept der Fünf Kontinente tief in uns Menschen ankommt. Auf diesem Boden könnte sich unsere Geschlechtsidentität ganz unterschiedlich ausdrücken und auch verändern. Dann wären die einzelnen Kategorien nicht mehr wichtig und es hätte eine Natürlichkeit, dass wir alle „divers“ sind.
Solange das nicht so ist, halte ich die Kategorien für wichtig, weil sie diejenigen stärkt und zu einem Stand verhilft, die eben nicht der „Normalität“ angehören.
Liebe Grüße,
Tilda
Liebe Tilda,
ich finde es stark, wie persönlich du hier von einem sehr sensiblen Thema schreibst und uns an dir teilhaben lässt. Und du machst sehr deutlich, dass wir als Menschen uns selbst in unserer Vielfalt begrenzen, wenn wir erstens nicht frei genug sind, aus allen unseren „Kontinenten“ zu leben und zweitens, wenn eine Innere Person eines Kontinents in sich selbst nicht frei ist wie dein Karim. Ich glaube, meistens nehmen wir diese Einschränkung als gegeben hin, fühlt es sich „normal“ an, weil wir es gar nicht anders kennen. Und dann freuen wir uns schon über ein bisschen Bewegungsspielraum und Lebendigkeit in einer unserer Inneren Personen … Sich Verlieben ist ja eine super Möglichkeit, mal etwas „Auslauf“ zu haben: Für eine Zeit sind wir dann voller Hoffnung, dass sich endlich mehr Türen öffnen in uns selbst. Aber dass wirkliche Vielfalt bedeuten würde, noch viel beweglicher zu sein, sich mit ganz unterschiedlichen Qualitäten in Beziehungen erleben zu können, davon lässt dein Artikel etwas erahnen! Vielleicht würden dann ja auch die Begriffe „homo“, „hetero“ und so manche Trans-Diskusssion überflüssig werden? Weil es natürlich wäre, „Vieles“ zu sein? Für mich eine sehr vielversprechende, wünschenswerte Vision!
Liebe Phönix,
danke für deine Antwort. Das freut mich, dass dir mein Beitrag gefällt.
Es stimmt, wir begrenzen uns selbst in unserer Vielfalt – dadurch, dass einzelne Quellen in sich gehalten sind und andere mit zurückhalten.
Für mich hat sich das spannenderweise nie wirklich als „normal“ angefühlt. Ich hatte immer das Gefühl, da will noch etwas „raus“ und leben. Das ist letztlich die Kraft, die mich antreibt, weiterzugehen und mich zu erforschen. Das ist, denke ich, die Sehnsucht in meinen Quellen, wieder in Verbindung mit ihrer Tiefe zu kommen.
Ja, mich „unerfüllt“ zu verlieben bringt meinen Inneren Personen die Intensität von „damals“ ins jetzige Leben zurück – auf eine ungefährliche Weise. Doch wenn ich das reflektieren und einordnen kann, führt zum Glück auch das weiter.
Das wünsche ich mir auch – dass wir in Bezug auf unsere Geschlechtsidentität eine Offenheit entwickeln für die innere Vielfalt, die in uns allen wohnt. Und ja, dann werden diese Begrifflichkeiten vielleicht überflüssig und es wird natürlich, dass sich die Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung ganz unterschiedlich ausdrückt.
Deshalb wäre die Quellen-Theorie der IndividualSystemik wirklich eine Bereicherung für die Queer-Szene.
Da können wir die nächsten Wochen sicher noch weiter diskutieren.
Liebe Grüße,
Tilda