Filmtipp: Der Pferdeflüsterer

Zurück ins Leben.

Es gibt selten einen Film, der mich so unmittelbar packt, mitreißt und mich in meiner Tiefe berührt. Der Pferdeflüsterer erzählt auf eindrückliche Weise, wie wir nach einem erschütternden, traumatischen Erlebnis unwillkürlich in die Isolation flüchten. Und er zeigt, was wir brauchen, um uns wieder dem Leben zu öffnen und vertrauen zu können.  

Durch seine Dichte und Intensität entfaltet der Film eine große Kraft und ja, eine therapeutische Wirkung. 

Ein traumatisches Erlebnis

Die dreizehnjährige Grace und ihre Freundin Judith unternehmen an einem Wintermorgen einen Ritt durch die Schneelandschaft. An einem vereisten Abhang verlieren die Pferde den Halt und rutschen mit den Reiterinnen ab auf eine Straße. Ein herannahender Truck kann nicht mehr ausweichen. Judith und ihr Pferd sind sofort tot, Grace und ihr Pferd überleben schwer verletzt. Grace muss der rechte Unterschenkel amputiert werden. Ihr Pferd Pilgrim ist nicht nur schwer verletzt, sondern auch so traumatisiert, dass es keinen Menschen mehr an sich heranlässt. Und auch Grace zieht sich in ihr Innerstes zurück und will mit dem Leben nichts mehr zu tun haben. 

Die Mutter folgt ihrer Intuition und bringt das Pferd zu Tom, einem Pferdeheiler. Der versteht unmittelbar, dass nicht nur Pilgrim einer einfühlsamen und entschiedenen Führung bedarf, sondern auch Grace. 

In eindrücklichen Szenen, in denen Tom sich dem Pferd behutsam nähert, ihm seine Liebe, Einfühlung und Führung schenkt, gewinnt Pilgrim nach und nach seine Fähigkeit zum Kontakt zurück. Auch Grace, die anfangs sehr skeptisch ist, lässt sich auf Tom und diesen Prozess ein. Sie begegnet dabei ihrer Abwehr, Wut und Trauer und findet schließlich wieder Zugang zu ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Liebe zum Leben. Auch die Welt der Mutter – eine selbstbezogene, hoch kompensierte und erfolgreiche Redakteurin – gerät ins Wanken. Auch sie durchlebt einen inneren Prozess hin zu mehr Berührbarkeit.

Geheime Machtseiten

Artho und Veeta Wittemann haben viele Jahre zum Thema Geheime Machtseiten geforscht und ganz grundlegende Erkenntnisse zu diesen tief verdrängten Seiten in uns gewonnen. „Der Pferdeflüsterer“ ist diesbezüglich ein bereichernder und höchst spannender Film. Er lenkt den Blick auf diese herausfordernden Kräfte in unsere Psyche und lädt uns ein, den Aspekt der Traumabewältigung weiter zu erforschen. Wir alle tragen sie in uns, diese tiefen traumatisierten Anteile, die uns gänzlich unbewusst sind. Wie die Geheimen Machtseiten mit ihren Erlebnissen von Ohnmacht und Überwältigung umgehen, ist sehr unterschiedlich: Manche ziehen sich – wie Pilgrim – verletzt zurück und bäumen sich auf, wenn jemand in ihre Nähe kommt. Andere schrauben sich an ihrem Widerstand gegen das Erlebte hoch und entwickeln eine Lust daran, überlegen und unverletzlich zu sein. Wieder andere empfinden nur dann Genugtuung, wenn sie das erlebte Unrecht der Welt heimzahlen können (Filmtipp: Die drei Begräbnisses des Melquiades Estrada). 

Um uns den tiefen Wunden dieser Inneren Personen nähern zu können, brauchen wir ein Gegenüber, das unsere Verletzung sieht und gleichzeitig unsere Kraft und unseren Widerstand ernst nimmt. Wir brauchen Menschen, die sich mit Geduld und Einfühlung nähern, uns wertschätzen und uns fordern.

Menschliche Berührung heilt

Die Geschichte von Pilgrim und Grace und ihrer Begegnung mit dem Pferdeflüsterer berührt mich jedes Mal aufs Neue. Ich kann gut nachfühlen, wie es ist, eine solche Wunde zu tragen und sich deshalb aus dem Leben zurückzuziehen. Die Lösung meiner Geheimen Machtseite war lange Zeit die Überhöhung meiner selbst und der Rausch an meiner eigenen Überlegenheit. Inzwischen bin ich – dank der IndividualSystemik – bewusster und nahbarer geworden. Noch gehe ich hin und her: Ich lasse ein wenig Kontakt zu, dann bäume ich mich wieder wütend auf oder ziehe mich in meinen Schonraum und meine Isolation zurück. 

Dass es Menschen gibt, die darum wissen und immer wieder mit mir an dieser tiefen Wunde verweilen, ist ein großes Glück für mich. Und ja, dieses Gegenüber kann ich mir auch selber sein. So schöpfe ich Stück für Stück wieder Vertrauen in mich selbst und die nahen Menschen um mich herum.

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