Filmtipp: Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada

Schuld und Sühne

Wer will schon gerne schuldig sein? Schuld zu tragen fällt nicht leicht. Wir müssten unsere Fehler zugeben und sagen: „Ich bin Täter*in.“ Das wirklich zu fühlen ist oft schmerzhaft. Wie verführerisch ist es da, die Tat zu vertuschen, „alternative Fakten“ zu schaffen und die Realität zu begraben. Verleugnung lässt jedoch eine offene Rechnung zurück. Und Unrecht ruft nach Sühne. Es will ausgeglichen werden. Manchmal sorgen unsere Gesetze dafür. Aber was, wenn nicht? Rächen wir uns dann selbst, wie im wilden Westen? Im normalen Western bringt der gerechte Rächer den Banditen kaltblütig zur Strecke. Recht so – oder? Dieser Western ist anders. Er ist politisch aktuell: Er macht die Situation an der Grenze zu Mexiko zum Thema. Er ist menschlich: Er zeigt unsere Verletzlichkeiten und unsere machtvollen Lösungen. Er ist tiefgehend: Er offenbart innere Entwicklungschancen.

Perspektive der IndividualSystemik

Veeta Wittemanns Tipp hat mich inspiriert, den Film zu schauen. Sie hat uns diesen aufrüttelnden Western empfohlen, damit wir etwas über Geheime Machtseiten lernen können.

Es sind diejenigen „Inneren Personen“, die im Geheimen maßgeblich unser Leben lenken und unsere tiefsten Lebenseinstellungen bergen. Sie tragen die archaischen, existentiellen Themen unseres Menschseins. Artho und Veeta Wittemann haben bei ihrer Erforschung der menschlichen Psyche diese verborgenen Kräfte entdeckt. Dadurch können wir heute diese zentralen, mächtigen und willensstarken Inneren Personen gezielt in uns erforschen.

Auf welche blinden menschlichen Haltungen wir bei dieser Innenweltreise stoßen, wie beharrlich und unberührbar diese inneren Anteile oft sind und welche Zumutungen nötig sind, damit sie aus ihrer Trance erwachen, können wir in diesem Film sehen. Eine Geschichte, die der inneren Lage mancher Geheimen Machtseiten beeindruckend ähnelt. 

Ein Innenwelt-Western

„Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ empfand ich als ein mächtiges Werk voll symbolträchtiger Szenen, in der existentielle Schicksale ineinandergreifen. Ich habe bis zum Schluss mitgefiebert und mich so manches Mal selbst erkannt. Einiges hat mich gerührt, empört oder schadenfroh gestimmt. Unerwartet skurrile Begebenheiten brachten mich auch zum Schmunzeln … 

Diese Geschichte einer Männerfreundschaft über den Tod hinaus ist bewegend. Pete Perkins, Ranch-Vorarbeiter im Grenzgebiet zu Mexiko steht kompromisslos für seinen Freund, den illegalen Einwanderer Melquiades Estrada, ein. Als Melquiades irrtümlich von einem Grenzpolizisten erschossen wird und die Polizei den Fall nicht aufklären will, macht sich Pete selbst daran. Er hatte versprochen, seinen Freund in dessen Heimat zu beerdigen und zwingt den Mörder, die verscharrte Leiche wieder auszugraben und mit ihm nach Mexiko zu bringen. Mit der Polizei im Genick treibt Petes loyale Freundschaft das Dreier-Gespann kompromisslos weiter …

Blindes Leben

Der ganze Film ist eine Quelle immer neuer, beeindruckender Wendungen und Verknüpfungen, die Parallelen zur menschlichen Innenwelt eröffnen. Mich hat am Anfang die selbstbezogene Art des Grenzpolizisten, sein gefühlloser, dumpfer Umgang mit seiner Frau, empört. Da regt sich gleich meine machtvolle innere Herrscherin auf. Aber ist sie nicht genau so taub und unerreichbar wie er geworden? 

Der Polizist schiebt eine ruhige Kugel auf seinen Patrouillen, bis er den Mexikaner dummerweise erschießt. Peng! Wie konnte das passieren? Panik! Was jetzt? Vertuschen? Die Schuld rumort in ihm, aber besser vergessen und zurück in den tauben Nebel. Auch unsere Machtseiten wollen lieber in ihrer dumpfen Blase bleiben. Wenn sie aus ihrer inneren Isolation heraus andere verletzen, wollen sie es nicht gewesen sein. 

Die Zumutung, fühlen zu müssen

Doch genau das lässt Pete nicht zu! Seine Freundschaft ist stärker. Der Mörder entkommt der mittlerweile stinkenden Leiche und damit seiner Schuld nicht. Er muss sie tragen, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine starke Symbolik! Und genau das ist auch für eine Geheime Machtseite die Chance auf Erlösung. Die Mittel, mit denen wir die unerlösten traumatischen Themen eines Menschen erreichen können, sind eine Zumutung, aber die einzige Medizin. Sie müssen der Wucht seiner Haltung entsprechen, sonst gleiten sie an seinem Abwehr-Panzer wirkungslos ab. 

Nachdem der Polizist von einer Schlange gebissen wird, ist eine Mexikanerin seine einzige Rettung. Sie, die er einst bei einer Grenzkontrolle brutal und verächtlich geschlagen hatte, ist Pete zuliebe bereit, den Polizisten zu heilen. Pete will, dass er lebt! Auch unsere Geheimen Machtseiten müssen lernen, von ihrem hohen Ross herunterzukommen, wenn sie leben wollen.

Zurück zum Leben

Der Film ist voll intensiver Szenen und Schicksalsverkettungen. Eine Odyssee, ein wilder Ritt zurück zum Leben. Ein Pfad, der wieder berührbar macht. Eine Geschichte über Menschlichkeit und Gerechtigkeit und ein Lehrfilm über unsere tiefste Realität: unsere taub gewordene geheime Macht. 

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