Wann endet der Kampf der Geschlechter?

2018 hat mir eine Freundin ein außergewöhnliches, berührendes Video geschickt: „From women to men“ von Hanna Milling. Darin bekennen sich Frauen zu ihrer Täterinnenschaft gegenüber den Männern. Sie entschuldigen sich bei ihnen. Und sie drücken aus, wie sehr sie die Männer schätzen. Das hat mich damals ziemlich vom Hocker gehauen. War es doch genau die Zeit, in der mir langsam bewusst wurde, dass auch ich Männer manipulierte und klein machte. Ich spürte schon, dass es irgendwann wichtig werden würde, dafür die Verantwortung zu übernehmen und mich konkret bei einigen Männern zu entschuldigen. Allerdings war ich davon noch weit entfernt. Denn die entscheidende Innere Person, meine Matriarchin, empfand ihr Verhalten gegenüber den „bösen Männern“ als absolut gerechtfertigt. Dass sie damit alle Männer über einen Kamm scherte, war ihr egal. (Mehr von ihr kannst du im Beitrag In Rache verbunden lesen).

Frauen stellen ihre Würde wieder her

Wir Frauen haben gute Gründe, wütend und verletzt zu sein. Viele Jahrhunderte der Unterdrückung durch Männer sitzen uns noch in den Knochen. Lange Zeit war es uns kaum anders als durch „Mitspielen“, Heimtücke oder Manipulation möglich, einen Rest an eigenem Willen zu bewahren. Das alles hat Spuren in unserer Psyche hinterlassen. Heute verletzen wir immer wieder selbst unsere weibliche Würde, wenn wir an diesem indirekten, negativen Verhalten festhalten. Dazu schreiben hier im blog auch Stella in Männermachtgehabe – und wie Frauen mitspielen und Louise in Sind Frauen nur Opfer?.

Warum es nicht so einfach ist, unser Verhalten an dieser Stelle zu ändern – aber auch wie es möglich wird – beschreibt Veeta Wittemann in ihrer Video-Reihe Die Rückkehr der Königin. Sie stellt klar, dass unser weibliches Nein gegenüber Männern an vielen Stellen berechtigt war und ist – ja, wir sind Opfer geworden. Und gleichzeitig deckt sie auf, dass in vielen von uns Frauen das Nein zu Männern in der Tiefe so absolut und unverrückbar eingefroren ist, dass wir selbst zu Täterinnen werden. Dann sind wir genauso kalt und rücksichtslos wie einst die Männer uns gegenüber. Wir tragen unseren Teil dazu bei, den Kampf und das Leid zwischen den Geschlechtern aufrechtzuerhalten. Zumindest, solange wir unser Nein nicht erkennen und weiter daran festhalten.

Die eigene Täterschaft anzuerkennen war für mich ein schwieriger Schritt. Absolut überrascht hat mich, dass es genau der entscheidende Schritt war, um wieder Zugang zu meiner ursprünglichen weiblichen Kraft zu finden. Der individualsystemische Blick in die Tiefen meiner Psyche hat es mir ermöglicht, mit meiner Matriarchin direkt in Kontakt zu kommen. Sie ist es, die dieses Thema mit den Männern hat. Deshalb war es auch sie, die es in sich bewegen musste, damit ich mich als Ganze verändern konnte. Mich dann tatsächlich bei einigen Männern zu entschuldigen, hat mich aufgerichtet und mir meine Würde zurückgegeben.

Die Frauen, die das im Video öffentlich tun, haben mich bestärkt und mir Mut gemacht auf meinem Weg.

Männer antworten den Frauen

In den Monaten nach der Veröffentlichung des Videos haben Männer aus der ganzen Welt den Frauen geantwortet: „The battle ist over – from men to women“. In diesem ebenso berührenden Film, den Bernhard von Glasenapp aus den Antworten der Männer zusammengestellt hat, bekennen sich Männer zu ihrer Täterschaft gegenüber Frauen, entschuldigen sich bei ihnen und drücken aus, was sie an Frauen lieben.

Männer hatten lange Zeit gute Gründe, sich in ihrer überlegenen Position einzurichten. Sie waren und sind – genauso wie Frauen – gefangen in Rollenerwartungen und einengenden, meist von Frauen anerzogenen Selbstbildern. Es ist verständlich, dass viele sich unverletzlich gemacht haben. Nicht nur gegenüber anderen Männern, sondern besonders gegenüber Frauen. Es bedeutet noch immer einen bewussten Machtverzicht – und damit eine Annäherung an die eigene Verletzlichkeit – wenn Männer Frauen wieder groß und gleichberechtigt an ihrer Seite willkommen heißen. Sie hätten aber auch einen Gewinn davon: Mit starken und zugleich im Inneren wieder weich gewordenen Frauen an ihrer Seite, könn(t)en Männer sich erlauben, wieder ganz und gar kraftvolle, fühlende, würdevolle Wesen zu sein.

Früher wären die Inhalte dieses Videos an mir abgeprallt oder ich hätte mich im Geheimen darüber lustig gemacht. Erst vor wenigen Monaten ist die Offenheit in mir entstanden, das, was die Männer sagen, auch in mich hineinzulassen. Wenn ich das tue, fühle ich Dankbarkeit. Ich sehe die Schönheit der Männer. Und ich spüre den Rest Vorsicht, der ihnen gegenüber noch in meiner Matriarchin wohnt.

Ein neues Miteinander?

Die kontroversen emotionalen Kommentare auf Youtube unter den Videos zeigen, wie offen und tief die Wunden sind, die wir uns gegenseitig als Frauen und Männer immer wieder neu zufügen. Und wie groß die Sehnsucht nach Heilung und Verbundenheit ist. Es ist eine Herausforderung, den Blick nach innen zu richten, auf den eigenen Schatten, statt überwiegend beim anderen nach der Schuld zu suchen.

Wenn beide Seiten anfangen, die eigene Innenwelt aufzuräumen, kommen wir dem Ende des Kampfes näher. Frauen und Männer müssen ihre alten, unverdauten Gefühle in Bewegung bringen. Und ihren machtvollen Willen, zum anderen NEIN zu sagen, erkennen und klären. Eine Vision, wie das aussehen könnte, entfaltet Veeta im letzten Teil ihrer Video-Reihe unter dem Titel Eine bessere Welt. Sie macht sehr konkrete Vorschläge, was Frauen und Männer für ein neues Miteinander tun können. Denn damit dieses tatsächlich Wirklichkeit wird, müssen den Worten nun Taten folgen.

Wie immer freue ich mich über einen Kommentar von dir. Schreib mir, ob dir der Beitrag gefallen hat oder was die Aufforderung, die eigene Täter*innenschaft in den Blick zu nehmen, in dir auslöst.

2 Gedanken zu „Wann endet der Kampf der Geschlechter?“

  1. Liebe Rapante,
    danke für Deinen ehrlichen und nahbaren Artikel und die Links zu diesen außergewöhnlichen Videos! Wow. Ich selbst kenne eine feurige Frau in mir, die sehr kraftvoll einfordert, von Männern respektiert und als ebenbürtig behandelt zu werden. Für sich selbst, aber auch für andere, weniger kämpferische Frauen in mir. Was sie jedoch vergessen hat, ist, dass sie sich von ihrer eigenen Verletzlichkeit getrennt hat, und somit letztendlich Männern auch ihre eigene tiefere Verletzlichkeit und ebenso die meiner anderen weiblichen Seiten vorenthält. Und ja, da unterscheidet sie auch nicht mehr, bei welchen Männern das klug und angemessen ist, und bei welchen es aber auch anders möglich wäre. Dass auch das eine Wirkung hat, und eben auch eine Variante ist, den Kampf zwischen Frau und Mann fortzuführen, ist mir bzw. „ihr“ erst beim Schauen von Veetas Videoreihe klargeworden. Vielleicht ist das Wort Täterin für sie zu stark, aber ja, auch sie trägt eine Verantwortung, erzeugt Gegeneinander statt Miteinander, muss sich erst mit sich selbst aussöhnen, bevor sie den Männern letztendlich auch das geben kann, was sie von ihnen einfordert: ein ehrliches, offenes Begegnen in Augenhöhe. Und welche Auswirkung das auf die anderen weiblichen Seiten in mir hat – ich bin gespannt! Die Reise geht weiter…

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    • Liebe Phoenix,
      danke für deine Zeilen. Das freut mich, dass deine Feuerfrau etwas von sich in meinem Text wiederfindet. Was du schreibst lässt mich ihr Ringen fühlen, ihren Wunsch, ihre Kraft nicht (mehr) zu zügeln, das Suchen nach dem richtigen Maß und das langsame Erkennen, dass auch sie irgendwo in der Tiefe etwas Weiches und Verletzliches hat. Ja, eine spannende Reise, das finde ich auch! Schön, dass wir gemeinsam auf dem Weg sind.
      Viele Grüße, deine Rapante

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